27. Mai 2021
Abschiebungsversuch aus der Psychiatrie durch die Ausländerbehörde Weimar

UPDATE vom 27. Mai 2021:

Nach Stellungnahme der Landesärztekammer Thüringen: Abschiebungsversuch aus der Weimarer Psychiatrie wirft weiter Fragen auf

Der Flüchtlingsrat Thüringen begrüßt die Einschätzung und Klarstellung der Landesärztekammer Thüringen, dass während einer stationären Krankenhausaufnahme nicht abgeschoben werden darf. Bereits eine stationäre Aufnahme sei medizinisch indiziert und begründe eine Reiseunfähigkeit der Patient:innen, auch wenn darüber keine ärztliche Bescheinigung vorliege, so die Einschätzung im Ärzteblatt Thüringen. Die Stellungnahme ist insbesondere vor dem Hintergrund des Abschiebungsversuches aus der Weimarer Psychiatrie am 13.10.2020 sowie für mögliche weitere Abschiebeversuche aus Thüringer Krankenhäusern bedeutsam.

Der Thüringer Erlass zu Abschiebungen aus Krankenhäusern vom 15.3.2019 besagt, dass bei medizinisch indizierten stationärem Krankenhausaufenthalt eine Reiseunfähigkeit vorliegt und Abschiebungen damit abzubrechen sind. Liegt zum Zeitpunkt der Abschiebung keine ärztliche Bescheinigung über die stationäre Aufnahme vor, soll die Ausländerbehörde dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten klären. Bei Anhaltspunkten für einen Krankenhausaufenthalt ist die Abschiebung abzubrechen. Trotz dieser Regelung kam es am 13.10.2020 zu einem Abschiebungsversuch aus der Psychiatrie Weimar, das belegen der Bericht der Betroffenen und der Krankenhausentlassungsbericht. Erst als die Patientin einen Zusammenbruch erlitt, wurde die Abschiebung abgebrochen. Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. kritisierte das Vorgehen der verantwortlichen Behörde massiv.

Dem entgegen sprach die Stadt Weimar in ihrer Pressemitteilung vom 20.10.2020 (Hinweis: Original Pressemitteilung nicht mehr auf der Wesbite der Stadt einsehbar - 26. Mai 2021) wie auch das TMMJV in der Beantwortung der Kleinen Anfrage von Astrid Rothe-Beinlich, Bündnis 90/ Die Grünen vom 11.2.2021 lediglich von einem Gespräch bzw. einer Kontaktaufnahme des begleitenden Abschiebungs-Arztes im Beisein der Stationsärztin früh morgens gegen 5 Uhr am Krankenbett. Es habe keine ärztliche Bescheinigung über den Krankenhausaufenthalt vorgelegen und „die Vertreter der Ausländerbehörde [durften] aber zu Recht davon ausgehen, dass gegen 5.00 Uhr morgens kein aussagefähiges ärztliches Personal als Ansprechpartner für eine telefonische mündliche Bestätigung eines medizinisch indizierten stationären Krankenhausaufenthaltes zur Verfügung stand […]“, heißt es in der Beantwortung der Kleinen Anfrage. Diese Darstellung der Vorgänge ist äußerst fraglich unter anderem, da die zuständige Stationsärztin unstrittig anwesend war.

Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert von der Thüringer Landesregierung:

  • Die betroffene Frau sowie ihre Familie müssen nach dem schockierenden Ereignis in der Weimarer Psychiatrie umfassend vor einer zwangsweisen Überstellung in ein anderes Land geschützt sein und alle erforderliche Unterstützung erhalten, um in Weimar ohne ständige Angst vor erneuten Abschiebungsversuchen und Familientrennungen leben zu können und um das Geschehene zu verarbeiten.
  • Die Vorgänge in der Psychiatrie Weimar am 13.10.2020 sind weiter aufzuklären. Dazu zählt u.a,. warum es trotz Anwesenheit der Stationsärztin Zweifel an der medizinischen Indikation des Krankenhausaufenthaltes gegeben haben soll und mit welcher Befugnis ein Abschiebungs-Arzt diese klären sollte. Zu klären ist auch die Rolle der anwesenden Polizist:innen. Nach den öffentlichen Aussagen seien sie nicht im Zimmer der Patient:in gewesen. Die Patient:in selbst konnte aber detailreich zu anwesenden Polizist:innen berichten.
  • Der Thüringer Erlass vom 15.3.2019 ist zu überarbeiten. Es ist sicherzustellen, dass keinerlei persönliche Kontaktaufnahme mit Patient:innen in stationärer Krankenhausbehandlung von Seiten der am Abschiebungsvollzug beteiligten Mitarbeiter:innen erfolgt.
  • Da eine stationäre Krankenhausaufnahme nur medizinisch indiziert möglich ist, sollte der Erlass folglich uneingeschränkt aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus stationären Krankenhausbehandlungen untersagen.
     

Bericht der Betroffenen "Ich war wie betäubt im Schlaf"

Ich war wie betäubt im Schlaf, als ich wach wurde. Es war vielleicht zwischen 5:30 und 6:00 Uhr morgens. Ohne auf die Uhr zu gucken, habe ich nur gesehen, dass es noch dunkel ist. Ich habe schreckliche Ängste. Zuerst ist die Ärztin reingekommen und dann ein dicker rot gekleideter Mann. Gleich danach sind auch zwei Polizisten reingekommen. Ich denke, noch ein Polizist stand vor der Tür. Aus Angst konnte ich nicht ihre Gesichter anschauen. Ich hatte den Eindruck, dass sie alle sehr groß und kräftig waren. Die zwei Polizisten standen vor der Toilettentür in meinem Zimmer. Meine Nachbarin wurde auch wach. Sie hat mich an dem nächsten Tag gefragt, warum die Polizisten mich abholen wollten. Die Ärztin und der andere Mann in Rot standen neben meinem Bett. Die Ärztin hat mir auf Englisch gesagt: die Polizisten sind gekommen, um dich nach Finnland zurück zu bringen. Ich hatte das Gefühl, um das Ganze zu beschleunigen und auch sich zu kooperativ zu zeigen, hatte sie mir meine Decke weggenommen, damit ich schneller aufstehen kann. Ich habe gesagt: ich will aber nicht nach Finnland zurückgehen. Plötzlich kamen mir die Tränen runter und es ging mir sehr schlecht. Ich konnte nur noch das Lachen von den Polizisten hören und ihre Unterhaltung. Man hat mir eine Tablette gegeben. Ich weiß aber nicht, was das für eine Tablette war. Danach bin ich total weg gewesen (ich denke in Ohnmacht gefallen). Als ich wieder wach war, war niemand in dem Zimmer.

Weitere Dokumente:

 

 


 

UPDATE vom 17. Dezember 2020:

Entgegen der öffentlichen Stellungnahme der Stadt Weimar vom 20.10.20, wonach lediglich von einem „Gespräch“ durch den Begleit- bzw. Notarzt am Krankenbett berichtet wird, besagt der Entlassungsbericht des Krankenhauses: „Die Patientin zeigte beim Eintreffen der Personen einen akuten Erregungszustand mit Hyperventilation. Dabei kam es zu einer Tetanie der rechten Hand. Auch unter der Gabe von 1 mg Tavor durch den Notarzt kam es zu keiner Besserung. Der Notarzt gab an, dass er die Patientin in diesem Erregungszustand nicht am Flughafen übergeben könne.“ Die Betroffene beschreibt dem Flüchtlingsrat zudem, dass sie zwei uniformierte Polizist*innen im Eingangsbereich ihres Krankenzimmers gesehen habe sowie 1 weitere Polizist*in in der Tür und der Begleitarzt in roter (Notarzt)Uniform gekleidet war. Sie sei zum Aufstehen und Sachen packen aufgefordert worden.


 

PRESSEMITTEILUNG vom 10. Oktober 2020:

Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert ein sofortiges Ende des restriktiven und rechtswidrigen Vorgehens der Ausländerbehörde und einen umfassenden Schutz für die betroffene Frau

Gegen 5 Uhr morgens am Dienstag, den 13.10.2020 fand ein Abschiebungsversuch aus der Weimarer Psychiatrie durch die Polizei und Ausländerbehörde der Stadt Weimar statt. Erst nachdem die 21-jährige Patientin zusammenbrach und bewusstlos wurde, wurde der Einsatz abgebrochen. Dieses Vorgehen verstößt unzweifelhaft gegen einen Thüringer Erlass vom 15.3.2019, der Abschiebungen aus einem Krankenhaus untersagt. Es steht zudem für ein besonders rigoroses und gnadenloses Vorgehen der agierenden Behörden. „Wir fordern die umfassende Aufarbeitung des Vorgehens und Konsequenzen für die beteiligten Mitarbeiter*innen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass die junge Frau jetzt umfassenden Schutz erhält und jegliche weitere Abschiebeversuche unterbleiben!“, so Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

Die betroffene Frau sollte als einzige der 5-köpfigen Familie im Rahmen eines Dublin-Verfahrens in ein anderes EU-Land abgeschoben werden. Die Mitteilung dazu erhielt sie einen Tag zuvor von der Ausländerbehörde Weimar. In ihrer ausweglosen Situation äußerte sie ernst zunehmende Suizidgedanken und wurde von der behandelnden Psychiaterin daraufhin in die Weimarer Psychiatrie eingewiesen, wo sie stationär aufgenommen wurde. Helmut Krause, Menschenrechtsbeauftragter der Thüringer Landesärztekammer ergänzt: „Vorfälle solcher Art sollten in Thüringen der Vergangenheit angehören. Es widerspricht der geltenden Erlasslage und jeglichen menschenrechtlichen Vorgaben. Ich erwarte, dass sowohl das Land Thüringen als auch die zuständigen Behörden diese Vorgaben achten.“