29. Mai 2019
Stellungnahme zum CDU-Gesetzesentwurf für ein Thüringer Integrationsgesetz

Im Juli 2018 stellte die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag ihren Gesetzesentwurf für ein Thüringer Integrationsgesetz vor (ThürIntG, Drucksache 6/6660). Deutliche Kritik am Gesetzesentwurf kam unter anderem von der Migrant*innenselbstorganisation Move e.V., dem Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement IBS gGmbH, der Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge des Freistaats Thüringen, Mirjam Kruppa, der LIGA und vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V. Im Rahmen eines Anhörungsverfahrens im Landtag bezogen wir schriftlich Stellung zum Gesetzesentwurf.

Im November 2017 verabschiedete das Land Thüringen bereits ein breit diskutiertes und ausgehandeltes Integrationskonzept, das auf vielen Ebenen Integration analysiert und konkrete Handlungsfelder und –möglichkeiten darstellt. Dabei wird Integration „[…] nicht als ein Zustand, sondern als ein fortlaufender, dynamischer und vor allem sich wechselseitig vollziehender Prozess“ definiert.  
Insbesondere vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines Thüringer Integrationsgesetzes, dessen Grundverständnis und Ausrichtung zudem einen erheblichen Rückschritt in der Debatte um Integration darstellt. Der vorliegende Entwurf geht von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Migrant*innen aus, unterstellt ihnen generell unzureichende Integrationsbemühungen und fehlende Akzeptanz der rechtlichen und gesellschaftlichen Normen. Der aktuell erschienene „Thüringen Monitor Integration“ bestätigt dies nicht und zeigt eine andere Realität.
Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt in den Förderungsmaßnahmen weitgehend unkonkret und unverbindlich, während er in den Sanktionsmaßnahmen drakonisch wirkt. Auch wenn der Begriff der „Leitkultur“ aus der bayerischen Vorlage des Gesetzentwurfes entfernt und durch „Werteordnung“ ersetzt wurde, basiert er auf demselben zu kritisierenden Grundverständnis der kulturellen Assimilation. Vor dem Hintergrund, dass Integrationsgesetzen insbesondere eine hohe politische Symbolwirkung zukommen kann, sieht der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. mit großer Sorge, dass der vorgelegte Entwurf dazu geeignet ist, Ressentiments und Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen zu verfestigen anstatt Diskriminierungen entgegenzuwirken, Teilhabemöglichkeiten effektiv zu verbessern und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.
Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. lehnt aus den genannten Gründen den Entwurf des ‚Integrationsgesetzes‘ der CDU Fraktion umfassend ab.
 

 

Zu den Punkten im Einzelnen:

Anmerkung:

In den folgenden Ausführungen wird der Begriff „Migrant*in“ im Sinne des Entwurfes des Thüringer Integrationsgesetzes der CDU verwendet. Die Definition ist nicht deckungsgleich mit der des Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

Die Definition bildet weder den aktuellen Stand der Migrationsforschung noch die verschiedenen Herausforderungen und Lebenssituationen (vermeintlich) zugewanderter Menschen ab.

  • §1 ThürIntG

Statt zugewanderten Menschen Teilhabe und Mitbestimmung zu ermöglichen, werden Migrant*innen als Hilfe und Unterstützung empfangend adressiert. Trotz der in § 2 vorgenommenen Maßgabe, dass das Gesetz auf Menschen zielen soll, die sich rechtmäßig und dauerhaft hier aufhalten, wird in § 1 auf einen vermeintlichen ‚Gast‘-Status abgestellt. Dieses Bild unterstellt von Beginn an ein ungleiches Verhältnis: ‚gute‘ Gäste haben sich höflich und zuvorkommend zu benehmen, sollen wenig Umstände machen und keine Anforderungen stellen, sondern möglichst dankbar sein und absehbar wieder gehen. Dieses Bild, was dem §1 zu Grunde liegt, wird vor allem in rechten und rechtspopulistischen Kreisen forciert, wird aber der Realität von Migration und Integration in keiner Form gerecht und verhindert vor allem eine Auseinandersetzung über soziale und ökonomische Teilhabechancen, gesellschaftliche Akzeptanz, notwendige interkulturelle Öffnung, Diskriminierungsformen, konstruktive Konfliktbearbeitung und vieles mehr. Problematisch ist der „Gast“-Begriff in einem Rechtsstaat und demokratischen System, weil damit Migrant*innen in erster Linie individuelle Rechte vorenthalten werden sollen.

  • §2 ThürIntG

Vom Gesetzentwurf sind jenseits der Migrant*innen mit Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis auch Menschen im Asylverfahren mit „guter Bleibeperspektive“ erfasst. Dabei wird die statistische Schutzquote im Asylverfahren mit „Bleibeperspektive“ gleichgesetzt. Diese abstrakte Gleichsetzung besteht in der Realität oftmals nicht, da selbst bei einem abgelehnten Asylverfahren vielfältige Gründe (z.B. humanitäre oder familiäre) dazu führen, dass Menschen über viele Jahre hier leben und verwurzelt sind. Um dieser Realität gerechter zu werden, wurden vor einigen Jahren für langjährig Geduldete im Aufenthaltsgesetz die Paragraphen § 25 a und b eingeführt.

Die Konstruktion der vermeintlichen „Bleibeperspektive“ dient im Asylverfahren vorrangig dem Ein- oder Ausschluss von sozialen Teilhabechancen Geflüchteter, wie auch im vorgelegten Gesetzentwurf.

Bereits das bestehende Integrationskonzept des Landes Thüringen legt die Vielfalt der Migration dar. Auch Menschen mit einer Duldung (d.h. zeitweise Aussetzung der Abschiebung) leben dauerhaft in Thüringen. Laut Ausländerzentralregister waren zum 30.6.2018 rund 3.000 Menschen mit einer Duldung im Bundesland. Duldungen werden aus verschiedenen Gründen erteilt. Menschen mit einer Duldung von Integrationsangeboten auszuschließen, konterkariert den Koalitionsvertrag auf Bundesebene explizit:

„Für langjährig Geduldete, die die Integrationsanforderungen im Sinne des § 25a und b des Aufenthaltsgesetzes erfüllen, wollen wir Verbesserungen und Vereinfachungen für den Aufenthalt und bei der Ausbildung und Arbeitsmarktintegration erarbeiten. Damit wollen wir auch Klarheit für die Betroffenen hinsichtlich ihrer Zukunft in Deutschland schaffen“ (Bundes-Koalitionsvertrag 2018)

Sprach- und Integrationsangebote sollten allen Migrant*innen gleichermaßen von Anfang an zur Verfügung stehen. Die erfolgreichen (und ausbauwürdigen) Sprachmaßnahmen des Landesprogramms Start Deutsch zeigen beispielsweise den Bedarf und das Interesse von Menschen, die nicht über den rechtlichen Zugang zu den BAMF-Integrationskursen verfügen, die deutsche Sprache zu lernen und gesellschaftlich teilzuhaben.

  • § 3 und § 4 ThürIntG

Während in der Gesetzesbegründung Integration noch als umfassender Prozess zumindest beschrieben wird, verengt sich der Integrationsbegriff im Gesetzesentwurf weitgehend auf die Beherrschung der deutschen Sprache. Insbesondere traumatisierte Geflüchtete oder Menschen ohne (ausreichende) formale Bildungserfahrungen (z.B. aufgrund von fehlendem Zugang zu Schulbildung in den Herkunftsländern) werden dadurch doppelt diskriminiert. Das Erlernen der deutschen Sprache ist oftmals nicht innerhalb kurzer Zeit möglich, da erst bestimmte Vorrausetzungen für einen erfolgreichen Bildungsprozess geschaffen werden müssen. Von einer „besonderen Integrationsbedürftigkeit“ wird ausgegangen, wenn jemand die Sprache nicht im Niveau A2 beherrscht oder „strafrechtlich relevantes Verhalten zu erkennen gibt“ (ohne hinreichend zu präzisieren, was das genau meint in Abgrenzung zu durch eine Verurteilung sanktionierten Straftaten). Integrationsförderung wird hier zur staatlichen Drohung.

Der Ausschluss von Kindern mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung widerspricht dem Thüringer Schulgesetz und grundlegenden Kinderrechten.

Warum nur Migrant*innen geeignete Angebote erhalten sollen, um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern „einzuüben“, erschließt sich nicht, da das Thema ohne Zweifel von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist. „Das auch in westlichen Demokratien sehr hohe Ausmaß von Gewalt gegen Frauen, welche insbesondere durch männliche Partner und Ex-Partner verübt wird (vgl. FRA 2014), ist Ausdruck fortbestehender Ungleichheiten und Hierarchien im Geschlechterverhältnis und ein maßgeblicher Hinderungsgrund für die volle Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

Ökonomische, kulturelle und soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern tragen zur Aufrechterhaltung ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern bei, welche wiederum Gewalt gegen Frauen befördern“ (Schröttle, Gewalt in Paarbeziehungen-Expertise für den zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2017).

Im vorliegenden Gesetzentwurf reduziert sich die Vorstellung der CDU von Integration auf reine Anpassung der Migrant*innen bzw. Geflüchteten ohne demokratischen Aushandlungsprozess. Die Ergebnisse des Thüringen Monitor Integration zeigen, dass es seitens Geflüchteter einen erheblichen Integrationswillen sowie großes Interesse an der hiesigen Kultur und Lebensweise gibt, allerdings geprägt von dem Wunsch, die eigene Kultur auch beibehalten zu wollen. „Damit scheinen von Seiten der allermeisten Geflüchteten gute Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft vorzuliegen. Allerdings nahm etwa die Hälfte der Befragten wahr, dass in der Thüringer Bevölkerung die Einstellung vorherrsche, Geflüchtete sollten sich an der hiesigen Kultur orientieren und ihre eigene Kultur aufgeben.“ (Thüringen Monitor Integration, S. 157) Diesen Eindruck bestätigt nicht nur der Thüringen Monitor 2018, sondern auch der vorgelegte Gesetzentwurf und ist besorgniserregend.

  • § 5 ThürIntG

Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. würde es grundsätzlich begrüßen, dass Ausländerbehörden daran erinnert würden, dass sie auch einen beraterischen Auftrag haben, wenn der beraterische Auftrag sowohl die Pflichten als auch die Rechte der Migrant*innen beinhaltet. Ausländerbehörden haben aktuell vor allem ordnungspolitische Aufgaben und können z.B. die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen, den Zugang zum Arbeitsmarkt oder die Möglichkeit eines Umzuges erschweren oder verhindern. Dies bedeutet für die betroffenen Migrant*innen ein massives Abhängigkeitsverhältnis. Ausländerbehörden sind denkbar ungeeignete Institutionen zur Feststellung von Unterstützungsbedarfen, welche sie gleichzeitig sanktionieren sollen.

Zudem haben Sanktionen bereits bei Menschen im SGB II-Rechtskreis nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt, sie bieten auch Migrant*innen keine Perspektive bei der gesellschaftlichen Teilhabe und sind kein geeignetes Instrument. „Sanktionen schaden der Motivation zur Selbsthilfe mehr als sie nützen: 78% der Betroffenen beantworten diese Frage positiv“. Sanktionen im SGB II

Des Weiteren sind die benannten Punkte zum Inhalt bedarfsgerechter Vereinbarungen allesamt überflüssig, da es hierfür bereits gesetzliche Grundlagen und Handlungsmöglichkeiten zu ihrer Durchsetzung gibt (z.B. Integrationskursverpflichtung, Wohnsitzregelung, Schulpflicht, etc.)

Jenseits dieses Gesetzentwurfes können Integrationsvereinbarungen aber eine mögliche hilfreiche Form sein, um auf erreichbare Aufenthaltserlaubnisse (z.B. als Vorgriffsregelung zur Erteilung der §§ 25 a und b Aufenthaltsgesetz) hinzuarbeiten und zu definieren, welche Voraussetzungen hierfür noch erbracht werden müssen und wie diese erlangt werden können.

  • § 6 und 7 ThürIntG

Beide Paragraphen lassen erschrecken in ihren sprachlichen Formulierungen, beispielsweise, dass Kinder lernen sollen, sich „durch die allgemein übliche Mimik und Körpersprache auszudrücken“ (was auch immer man sich darunter vorzustellen habe) oder „zentrale Elemente der abendländischen Kultur“ erfahren. Die Zielvorstellung der CDU ist hier als Homogenisierung der Gesellschaft zu erkennen, Mimik und Gestik unterscheiden sich nach sozialer Herkunft, regionalen Gegebenheiten, persönlichen Voraussetzungen und vielem mehr.

Der Thüringer Bildungsplan setzt hingegen bereits auf Vielfalt und interkulturelles Verständnis. Darüber hinaus angeregte Maßnahmen zur Förderung von Kindern finden sich im Bildungsplan wieder.

„Vielfalt ist gerade in einer durch unterschiedliche Kulturen geprägten demokratischen Gesellschaft grundsätzlich ein wichtiges und schützenswertes Gut. Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf Unterschiedlichkeit, so dass sie ohne Angst verschieden sein können. Sie haben außerdem das Recht, in ihrer Unterschiedlichkeit an der Gesellschaft, in der sie leben, teilzuhaben, also den Anspruch auf Inklusion.“ (Thüringer Bildungsplan, 2015, S.23)

  • § 8 ThürIntG

Zu begrüßen ist, dass immerhin an Schulen Integrationsbemühungen von Migrant*innen und die interkulturelle Kompetenz aller Schüler*innen unterstützt werden sollen. Die Schulen sollen darauf hinwirken, dass die Schüler*innen „Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit offen und unbefangen annehmen“. Warum das allerdings auf Schulen begrenzt sein soll und nicht genereller Ansatz eines Integrationsgesetzes, erschließt sich nicht.

Sprachkenntnisse ebenso wie Werte, Bräuche, etc. können sinnvollerweise zuallererst im gemeinsamen Umgang (kennen)gelernt werden. Der Flüchtlingsrat empfiehlt, ein grundlegendes Recht für Kinder auf Spracherwerb festzuschreiben, um sicherzustellen, dass Kinder auch die erforderliche Förderung in ausreichendem Maß erhalten.

  • § 9 bis § 11 ThürIntG

Der tatsächliche Mehrwert zu bereits bestehenden Regelungen und Programmen ist nicht erkennbar.

Die Thüringer Hochschulen bieten seit vielen Jahren verschiedene Programme für studieninteressierte Personen aus dem In- und Ausland an. Diese reichen von Gasthörer*innenprogrammen über Sprachkurse, Tandem- bzw. Buddy-Programmen, Summer Schools, Brückenkursen bis hin zu studienvorbereitenden Fachprogrammen wie z. B. Fachpropädeutika. Zudem gibt es zahlreiche studentische Initiativen, die sich mit vielfältigen Projekten aktiv engagieren. Im Vordergrund dieser Programme und Projekte stehen neben der Sprachvermittlung und der Vorstellung des Studiensystems in Deutschland und der jeweiligen Hochschule auch die gesellschaftliche Integration durch regelmäßige Kontakte zu Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, Professor*innen und sonstigen Mitarbeiter*innen der Hochschulen. Den Hochschulen und Studierenden soll es so ermöglicht werden, innerhalb kurzer Zeit auf sich ändernde Umstände zu reagieren und schnell passende Maßnahmen zu erstellen und vorzuhalten.

§5 Abs.7 Satz 1 und 2 Thüringer Hochschulgesetz: „Die Hochschulen wirken gemeinsam mit dem Studierendenwerk Thüringen an der sozialen Förderung der Studierenden mit. Sie berücksichtigen die Vielfalt ihrer Mitglieder und Angehörige bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und tragen insbesondere dafür Sorge, dass alle Mitglieder und Angehörigen unabhängig von der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der geschlechtlichen Identität oder der sexuellen Orientierung gleichberechtigt an der Forschung, der Lehre, dem Studium und der Weiterbildung im Rahmen ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten innerhalb der Hochschule teilhaben können.“

§9 des Gesetzentwurfs ist überflüssig, da sein Inhalt durch einige Initiativen teils Praxis an den Hochschulen ist und mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf keine Erhöhung der zur Verfügung gestellten Mittel in diesem Bereich verbunden ist.

  • §10 ThürIntG

Der Verweis auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen im § 10 würde in der Konsequenz bedeuten, dass finanzschwache Kommunen kaum Möglichkeiten hätten, Integrationsangebote aktiv zu unterstützen, wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommune als Kriterium herangezogen wird. Finanzschwache Kommunen sollten bei ihren Integrationsbemühungen durch das Land unterstützt werden.

  • §12 ThürIntG

Die Aufgaben von Rundfunk und Medien sind im Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben, so dass sich die Regelung als ebenfalls überflüssig und zudem ein anmaßender Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung darstellt. So heißt es in § 11 Rundfunkstaatsvertrag:

„Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.“

  • § 13 ThürIntG

Landesrechtliche Leistungen sollen Menschen ohne zweifelsfreie Identitätsfeststellung verwehrt sein. Es wird unterstellt, dass es ein erhebliches Problem mit Leistungserschleichung durch falsche Identitätsangaben gäbe. Derartige populistische Annahmen wurden erst kürzlich bei Überprüfungen durch das BAMF widerlegt (z.B. Bundesdrucksache 19/1217, Frage 7; Bundesdrucksache 19/4961, ab Frage 11)

Die Vorgaben eignen sich allerdings in besonderer Weise dazu, Geflüchtete und Migrant*innen einem behördlichen Spießrutenlauf auszusetzen, da trotz vorgelegter Dokumente ‚behördlich verbleibende Identitätszweifel‘ einen ausufernden Ermessensspielraum darstellen.

Dass Geflüchtete oftmals keinen Pass vorweisen können, hat vielfältige Gründe, beispielsweise keine Registrierung, Einzug des Passes oder keine Passerteilung bereits im Herkunftsland, der Pass ging während der Flucht (z.B. über das Mittelmeer) verloren, die Fluchtodyssee erforderte gefälschte Papiere und vieles mehr.

  • § 14 und § 15 ThürIntG

Migrant*innen sollen durch Ausländerbehörden mit einem Grundkurs über Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ‚bestraft‘ werden, wenn sie beispielsweise die freiheitlich demokratische Grundordnung durch „strafrechtlich relevanten Verhalten“ ablehnen oder die gewaltlose Erziehung von Kindern nicht befürworten. Wer an diesem Grundkurs nicht teilnimmt oder z.B. öffentlich aufruft, die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten, soll eine Geldbuße bis zu 50.000 € (!) erhalten.

Inwiefern „strafrechtlich relevantes Verhalten“ und politische Überzeugungen in einem Zusammenhang stehen und doppelt verfolgt werden sollen, ist höchst problematisch.

Folgt man den Ergebnissen des Thüringen Monitor Integration, so gibt es unter den Geflüchteten ein sehr großes Vertrauen gegenüber staatlichen Institutionen, was sogar höher ausfällt als bei der deutschen Bevölkerung (vgl. Thüringen Monitor Integration 2019, S. 115). Hinsichtlich der Befürwortung der Demokratie und demokratischer Einstellungen zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Befragung Geflüchteter und einheimischer Bevölkerung (ebenda, S. 117 ff.). Auch zeigen die Ergebnisse, dass es bei den Geflüchteten eine stark ausgeprägte Ablehnung gegenüber der Gewaltanwendung im familiären Beziehungen gibt (vgl. ebenda, S. 136).

Warum es zudem gesonderte Maßnahmen bzw. Sondergesetze bedarf, erklärt sich nicht, da bei verfassungsfeindlichen Maßnahmen dem Rechtsstaat Instrumente bereits zur Verfügung stehen, ebenso bei z.B. bei Straftaten oder häuslicher Gewalt.

  • § 16 und § 18 ThürIntG

Die gesetzliche Festschreibung des Amtes eines/ einer Integrationsbeauftragten wird grundsätzlich begrüßt, wobei die verfassungsrechtliche Möglichkeit angezweifelt wird.

Ein regelmäßiger Integrations- und Zuwanderungsbericht ist sinnvoll. Er sollte aus Sicht des Flüchtlingsrates aber insbesondere dem Erfassen aktueller Lebensbedingungen und Bedarfen sowie der Weiterentwicklung des bestehenden Thüringer Integrationskonzeptes dienen und die Erreichung der Ziele sowie die Umsetzung der Aktionspläne evaluieren. Auch wäre es sinnvoll, Studien wie den Thüringen Monitor Integration zu verstetigen.

  • § 17 ThürIntG

Der Landesintegrationsbeirat wird hier als Expert*innengremium verstanden, der Migrant*innen-Selbstorganisationen weitgehend ausschließt. Um nicht nur über Migrant*innen zu reden, sondern mit ihnen, ist es unerlässlich, Migrant*innen-Vertretungen wesentlich umfassender im Landesintegrationsbeirat einzubinden.

  • § 19 und § 20 ThürIntG

Subjektive Rechte werden durch das Gesetz nicht begründet und sollen damit auch nicht einklagbar sein. Ebenso soll das „Integrationsgesetz“ die Einschränkung von elementaren Grundrechten legitimieren. Hierin zeigt sich wiederholt die dem Gesetzentwurf immanente Misstrauens- und Sanktionslogik.

Die Ergebnisse des Thüringen Monitor Integration zeigen, dass das „Bedürfnis nach festen gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und Verhaltensnormen […] sowohl bei Personen der deutschen Aufnahmegesellschaft sowie Geflüchteten in Thüringen inhärent [scheint]. Ziel einer zukunftsorientierten Akkulturationspolitik muss somit in der Etablierung und Vermittlung übergeordneter Norm-und Wertesysteme liegen, die auf Basis von grundlegenden Menschenrechten und demokratisch-freiheitlichen Prinzipien Gemeinsamkeiten zwischen Aufnahmegesellschaft und Geflüchteten begründen und soziale Kohäsion sicherstellen“ (Thüringen Monitor Integration, S. 140).

Der vorliegende Gesetzentwurf verfehlt dieses Ziel in Gänze.

 

Zu den Forderungen des Flüchtlingsrat Thüringen e.V. an eine humanitäre Flüchtlingspolitik des Landes Thüringen.