10. Dezember 2021
„Spitze des Eisbergs“ 2021 geht an Suhler Oberbürgermeister

Heute ist der 10. Dezember, der Tag der Menschenrechte. Vor genau 73 Jahren verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Flüchtlingsrat Thüringen nimmt diesen Tag zum Anlass, um die "Spitze des Eisbergs" zu verleihen. In diesem Jahr geht der Negativpreis an den Suhler Oberbürgermeister André Knapp (CDU), der sich mit seinem populistischen Engagement für die Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung in seiner Stadt eingesetzt hat. 

Mit diesem Preis werden Behörden, Institutionen und Einzelpersonen „ausgezeichnet“, die in besonderer Weise schützenswerte Rechte von Geflüchteten missachtet bzw. unbeachtet gelassen haben. Eisbergspitzen sind der sichtbare Teil eines viel größeren Problems, an Eisbergen erleiden die Hoffnungen und Lebensentwürfe geflüchteter Menschen Schiffbruch, Eisberge strahlen Kälte aus.

Die Laudatio: André Knapp hat dazu beigetragen, die Situation der Einwohner:innen der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl zu verschärfen. Zu Beginn der Corona-Pandemie ordnete er im März 2020 gar die Abriegelung der gesamten Erstaufnahmeeinrichtung nach einem aufgetretenen Corona-Fall an. In Folge kam es zu einem großen Polizeieinsatz, dessen Bilder bundesweit für Aufsehen sorgten. So wurden Bewohner:innen unter anderem durch den Einsatz von Schlagstöcken am Verlassen der Einrichtung gehindert. Aus einem Beschluss des Landgerichts vom September  2020 geht hervor: zum Zeitpunkt waren weder Bewohner:innen über Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie informiert, noch war zum Zeitpunkt der Abriegelung ein rechtskräftiger Bescheid zur Quarantäne-Anordnung durch das zuständige Gesundheitsamt ergangen. Das Landgericht kommt in seinem Beschluss zu dem Ergebnis, dass die Zwangsabsonderung vermeintlicher Störer nach Arnstadt willkürlich und rechtswidrig war.

Nicht erst mit Beginn der Corona-Pandemie, sondern vielmehr seit Jahren sehen sich ankommende Bewohner:innen der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl einseitigen Debatten, Übergriffen und Vorverurteilungen ausgesetzt. Durch eklatantes Missmanagement der Einrichtung, Kettenquarantänen und die rechtskonservative Aufstellung einiger Parteien im Wahlkampf kippte abermals die Stimmung. Statt sich gegen solche Stimmungsmache zu positionieren und die Debatte zu versachlichen, hat Knapp sie befeuert. Er initiierte eine Petition, in der er die Bewohner:innen im Allgemeinen zum Gefahrenpotential stilisierte, rassistische Ressentiments bediente und der Vorverurteilung und Kriminalisierung ganzer Personengruppen in existenzieller Notlage Vorschub leistete.

Diese Stigmatisierung und Kriminalisierung ist brandgefährlich und zieht Handlungen nach sich. Vor kurzem etwa sandten Bewohner:innen der Einrichtung dem Flüchtlingsrat ein Video zu, das das skandalöse Verhalten einzelner Sicherheitsdienstmitarbeiter zeigt. In dem Video ist ein Vorfall zu sehen, der sich am 22. Oktober 2021 ereignete. Während die Bewohner:innen bei Kälte auf den Einlass an der Zugangsschleuse auf ihre Taschenkontrolle warteten, wurden sie bedroht und mussten rassistische Beleidigungen eines Mitarbeiters über sich ergehen lassen. Der Vorfall steht dabei beispielhaft für den regelmäßig von Bewohner:innen und Untersützer:innen kritisierten Umgang einzelner Mitarbeiter:innen des Sicherheitsdienstes der Einrichtung. 

Darüber hinaus verschiebt Knapps Petition den Blick weg von den tatsächlichen Problemen bei der Erstaufnahme und Unterbringung in Thüringen, die schon seit Jahren durch Berichte der Bewohner:innen bekannt sind. Dazu zählen insbesondere eine schlechte und unzureichende Essensversorgung, das Zusammenleben auf engstem Raum mit häufig fehlender Privatsphäre durch teils nicht abschließbare Türen und willkürliche (Zimmer)Kontrollen. Neben dem bereits erwähnten Umgang der Security mit Bewohner:innen, sind auch die unzureichende medizinische Versorgung und die ungenügende Grundausstattung (z.B. mit Kleidung, Hygieneartikeln etc.) massiv zu kritisieren. 

Dabei stellte Knapps Vorgehen lediglich die Spitze des Eisbergs dar wie ein Blick auf die anderen Nominierungen für den Preis zeigt. So trennte die Geraer Ausländerbehörde eine Familie im Zuge einer Abschiebung, während die Nähe des Geraer Richters Bengt Fuchs zur AfD in Verbindung mit seiner Rechtsprechung gelinde gesagt Fragen aufwirft.

OB Knapp ist mittlerweile von seinem Kurs abgerückt und hat sich einer konstruktiveren und differenzierteren Kritik angeschlossen. Dennoch bleiben die Spuren seines vorangegangen Wirkens und für diese wird er "ausgezeichnet".