Wohnungsdurchsuchungen bei 50 Personen ein massiver Rechtsbruch?

Im Juni 2017 ordnete ein Thüringer Amtsgericht im Zuge eines Sammelbeschlusses pauschal die Durchsuchung der Privaträume von 50 Personen an. Es sollte dabei nach Ausweisdokumenten gesucht werden. Im Rahmen der polizeilichen Maßnahme wurde eine unbekannte Zahl von Betroffenen ohne ersichtlichen Grund gefesselt. Unverhältnismäßig und teilweise ohne Rechtsgrundlage, wie sich herausstellte – viele der Durchsuchten wären von der Anordnung nicht betroffen gewesen. Unserer Einschätzung nach hat sich das Gericht ohne wirkliche Prüfung der Einzelfälle und fehlerhaft über die hohen Rechtsgüter des Schutzes der Privatsphäre, der Wohnung und auch der persönlichen Freiheitsrechte hinweggesetzt.

Auf Anfrage einer Landtagsabgeordneten vom Januar 2018 wurden weitere Informationen bekannt. Daraus ergibt sich für uns ein erschütterndes Bild: der Polizeieinsatz sowie der Gerichtsbeschluss in diesem Umfang widersprechen unserer Einschätzung nach dem Grundgesetz.

Update: Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. erstattete am 13. Dezember 2018 Anzeige gegen die Richterin wegen Rechtsbeugung.

 

Hier unsere Einschätzung:

Im Juni 2017 erging durch das Amtsgericht Nordhausen auf Antrag der Ausländerbehörde Nordhausen ein Beschluss, in welchem pauschal gegen 50 Betroffene die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume sowie der Personen und der Sachen der jeweils Betroffenen zum Zwecke des Auffindens von Unterlagen, die zur Klärung der Identität führen können, sowie die Beschlagnahme und Durchsicht der aufgefundenen Beweismittel angeordnet wurde. Dies wurde – grob skizziert – damit begründet, dass alle Betroffenen nach rechtskräftig negativ abgeschlossenem Asylverfahren vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und im Besitz von Duldungen nach § 60 a Abs. 2 AufenthG seien und sie trotz mehrfacher Belehrung über ihre Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätspapieren entsprechende Dokumente nicht vorgelegt und auch keine Bekannten oder Verwandten aus den Herkunftsländern namhaft gemacht hätten. Dies erscheine dem Gericht lebensfremd und unglaubhaft. Die Durchsuchung und die Beschlagnahme stünden im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs und zur Stärke des Tatverdachts. Die Betroffenen erzwängen durch die Verweigerung ihrer Mitwirkung die weitere Duldung ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, durch den erhebliche Kosten entstehen würden.

Im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE teilte das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz am 18.03.2018 mit, dass von den 50 Betroffenen lediglich 34 Personen Duldungsinhaber gewesen seien und 16 Betroffene im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und damit keineswegs vollziehbar ausreisepflichtig. Es seien im Rahmen der Durchsuchung am 28. Juni 2017 seitens der Ausländerbehörde sechs Reisepässe, eine Tazkira, eine internationale Fahrerlaubnis, Notizbücher und Notizzettel als Fotokopie sowie ein Mobiltelefon sichergestellt worden. Während der Durchsuchungen kam es zur Fesselung von Betroffenen; in einem Objekt seien vier männliche Personen, in dem anderen Objekt seien alle anwesenden männlichen Personen gefesselt worden; eine genaue Anzahl sei nicht dokumentiert worden. Die Fesselung sei erfolgt, da bereits im Rahmen der Einsatzvorbereitung auf mögliche Widerstandshandlungen hingewiesen worden sei.

Wir sehen darin unter anderem folgende Probleme:

  • 16 Personen befanden sich im laufenden Asylverfahren – für diese Personen gelten die Verpflichtungen des § 15 AsylG, deren Zuwiderhandlungen nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind (§§ 84 bis 86 AsylG) → für diese Personen gab es keinerlei Rechtsgrundlage für eine Durchsuchung bei diesen Personen.
  • Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung wird mit sachfremden Erwägungen begründet (unverhältnismäßig hohe Kosten des weiteren Aufenthaltes in der BRD etc.) und berücksichtigt nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zur notwendigen Schwere des Tatvorwurfs. Es handelt sich bei der Verletzung der Mitwirkungspflicht immerhin "nur" um eine Ordnungswidrigkeit und nicht um eine Straftat.
  • Der Beschluss erfüllt nicht ansatzweise die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an den sogenannten Richtervorbehalt bei Durchsuchungsanordnungen.
  • Aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE lässt sich entnehmen, dass polizeiliche Zwangsmaßnahmen in Form von Fesselungen erfolgten – allerdings scheint dies nicht dokumentiert, denn die Landesregierung konnte nicht mitteilen, wie viele Menschen davon betroffen waren. Es kann daher nicht nachvollzogen werden, wie viele Betroffene warum mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen  belegt wurden.