4. Juni 2025
Flüchtlingsrat Niedersachsen: Leistungsstreichungen nach § 1 Abs. 4 AsylbLG: Widerspruch, Eilantrag und ggf. Klage erheben!

Vielen Dank an den Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. für die Zusammenstellung. Die beschriebenen Entwicklungen treffen auch auf die Situation von Geflüchteten in Thüringen zu.

Leistungsstreichungen nach § 1 Abs. 4 AsylbLG: Widerspruch, Eilantrag und ggf. Klage erheben! 

"Liebe Listenleser:innen,

uns sind einige Fälle von kompletten Leistungsstreichungen aus Niedersachsen bekannt geworden. Aus diesem Grund möchten wir noch mal darauf hinweisen, dass dagegen unbedingt rechtlich vorgegangen werden sollte!

Die uns bekannten Leistungsstreichungen betreffen Menschen, die einen als "unzulässig" abgelehnten Asylbescheid erhalten haben und deren Asylverfahren gem. der Dublin III-Verordnung in einem anderen EU-Staat durchgeführt werden soll. Bei den Leistungsstreichungen wird sich auf den § 1 Abs. 4 AsylbLG berufen. Nach diesem neu gefassten Passus sieht das AsylbLG vollständige Leistungsstreichung vor, wenn ein:e Asylantragsteller:in in einem anderen EU-Staat bereits internationalen Schutz erhalten hat oder gem. Dublin-VO ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Diese Leistungskürzungen sind u.E. (und auch nach Ansicht bereits mehrerer Sozialgerichte) EU-rechtswidrig (EU-Aufnahmerichtlinie) und verfassungswidrig. Es sollte daher bei Leistungskürzungen unbedingt sofort Widerspruch eingelegt und gleichzeitig Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht gestellt werden. Im Fall der Ablehnung des Widerspruchs wäre dann beim Sozialgericht Klage zu erheben.

Oftmals sind die Leistungskürzungen schon aus formalen Gründen rechtswidrig und sind allein deshalb zu beanstanden: Da es sich bei den Leistungsstreichungen um einen sog. belastenden Verwaltungsakt handelt, ist den Betroffenen gem. § 28 VwVfG "Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern". Anschließend müsste dann ein schriftlicher rechtsmittelfähiger Bescheid ergehen, der die Leistungsstreichung begründet. Ist dies nicht beachtet worden, dürfte die Leistungsstreichung schon aus formalen Gründen angreifbar sein.

Wichtiger ist jedoch die inhaltlich-rechtliche Begründung. Nach Ansicht einiger Sozialgerichte, darunter zuletzt das SG Gießen, wird davon ausgegangen, dass der § 1 Abs 4 AsylbLG nicht mit dem Grundgesetz und EU-Recht vereinbar ist. Wörtlich schreibt das Sozialgericht Gießen:

"Nach der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts ist § 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG wahrscheinlich sowohl europarechtswidrig als auch verfassungswidrig
und hat daher unangewendet zu bleiben."
Beschluss SG Gießen vom 09.04.2025 - Az.: S 30 AY 28/25 ER

Hinzu kommt, dass der § 1 Abs. 4 eine Leistungsstreichung bei Menschen im Dublin-Verfahren nur dann vorsieht, wenn das BAMF festgestellt hat, dass "die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist". Dies wird i.d.R. auch nicht geschehen sein, so dass - selbst, wenn man der Ansicht sein sollte, dass sich die Sozialgerichte in ihrer Einschätzung der Europarechts- und Verfassungswidrigkeit irren - die Voraussetzungen für Leistungsstreichungen gem. § 1 Abs. 4 AsylbLG gar nicht vorliegen dürften.

Verfahren bei Sozialgerichten sind kostenfrei, und auch Anwält:innen können auf Grundlage von Prozesskostenhilfe arbeiten, so dass den Betroffenen keine Kosten beim Gang zum Sozialgericht entstehen sollten. Anwält:innen, die im sozialrechtlichen Bereich und insbesondere im Bereich des AsylbLG bewandert sind und Mandate übernehmen sind u.a. auf der Webseite www.zusammenland.de zu finden:

https://zusammenland.de/case-study/mit-recht-zum-recht/

Außerdem hier noch mal der Verweis auf unsere Webseite und die Hinweise zur Vorgehensweise gegen Leistungseinschränkungen:

https://www.nds-fluerat.org/61450/aktuelles/was-tun-bei-drohendem-leistungsausschluss-bei-unzulaessigen-asylantraegen/"