9. Mai 2019
Nein zum „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“! Offener Brief an SPD-Bundestagsabgeordnete

In wenigen Tagen wird im Bundestag erstmals über das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beraten. Aus diesem Anlass fordern PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte die Bundestagsabgeordneten der SPD in einem Offenen Brief auf, das Gesetz abzulehnen. Es ist uns ernst, wenn wir sagen, dass der Bundesrepublik beängstigende Veränderungen bevorstehen, sollte der Gesetzesentwurf aus dem Bundesinnenministerium Realität werden. Wir fragen uns, inwieweit die Bundesregierung noch für Menschenwürde und den Schutz von Menschenrechten einsteht, wenn sie ein solches Gesetz verabschiedet. Es drängt sich der Verdacht auf, dass im Zuge der Regierungs- und Ressortverhandlungen die Rechte von geflüchteten Menschen verkauft werden, um eine an wirtschaftlichen Interessen orientierte Einwanderungsgesetzgebung zu ermöglichen. Die SPD fällt damit auch hinter ihr selbst gestecktes Ziel zurück, mehr geduldeten Menschen eine Perspektive auf ein Bleiberecht zu eröffnen.

Offener Brief von PRO ASYL und den Landesflüchtlingsräten an die Abgeordneten der Bundestagsfraktion der SPD vom 7. Mai 2019:

Nein zum „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“!

Sehr geehrte Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion,

wir, die Flüchtlingsräte der Länder und PRO ASYL, bitten Sie eindringlich, das vom Bundeskabinett verabschiedete sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ im Bundestag abzulehnen.

Der Gesetzentwurf setzt einseitig darauf, den Abschiebungsvollzug auszubauen, indem Geflüchtete massenhaft wie Straftäter_innen inhaftiert und unter den Generalverdacht des Betrugs gesetzt werden, Sozialleistungen gestrichen, Ausbildungs- und Arbeitsverbote ausgeweitet, der Zugang zu einem Bleiberecht ausgehöhlt und Unterstützer_innen kriminalisiert werden sollen. Es ist ein Gesetz zur Ausgrenzung und Entrechtung von Schutzsuchenden.

Es ist uns ernst, wenn wir sagen, dass der Bundesrepublik beängstigende Veränderungen bevorstehen, sollte der Gesetzesentwurf aus dem Bundesinnenministerium Realität werden. Wir fragen uns, inwieweit die Bundesregierung noch für Menschenwürde und den Schutz von Menschenrechten einsteht, wenn sie ein solches Gesetz verabschiedet. Es drängt sich der Verdacht auf, dass im Zuge der Regierungs- und Ressortverhandlungen die Rechte von geflüchteten Menschen verkauft werden, um eine an wirtschaftlichen Interessen orientierte Einwanderungsgesetzgebung zu ermöglichen. Die SPD fällt damit auch hinter ihr selbst gestecktes Ziel zurück, mehr geduldeten Menschen eine Perspektive auf ein Bleiberecht zu eröffnen.

PRO ASYL hat in einer umfassenden Stellungnahme dargelegt, an welchen Stellen Grundrechte eingeschränkt werden und welche gesellschaftspolitischen Konsequenzen dieser Gesetzesentwurf haben wird. Auch zahlreiche andere Verbände, wie Der Paritätische – Gesamtverband, der Deutsche Anwaltsverein, der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sowie der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen haben ihre fundamentale Kritik an dem Gesetzesvorhaben dargelegt. Das FORUM MENSCHENRECHTE hat zudem eine Übersicht über die negativen Folgen und Wechselwirkungen der aktuellen Gesetzgebungsverfahren erstellt. Diese schwerwiegenden Bedenken müssen berücksichtigt werden!

Geflüchtete werden zu Menschen „dritter Klasse“

Menschen, die ihrer im Gesetzesentwurf definierten „Passbeschaffungspflicht“ angeblich nicht nachkommen, sollen nur noch die „Duldung light“ bekommen. Dadurch wird ihnen pauschal Ausbildung und Arbeit verboten, eine Wohnsitzauflage auferlegt und das Existenzminimum vorenthalten. Indem die Bezugszeit einer „Duldung light“ nicht als „Wartezeit“ für Bleiberechtsregelungen gelten soll, ist die „Duldung light“ ein Instrument, mit dem für tausende Menschen der Zugang zum Bleiberecht de facto versperrt wird. Damit wird ein neues Prekariat geschaffen. Dies wird unserer Erfahrung nach auch Menschen treffen, denen es per se unmöglich ist, der Passbeschaffung nachzukommen: Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie es aufgrund der Haltung ihrer Herkunftsländer nicht können. Jede Form der gesellschaftlichen Teilhabe dieser Menschen wird verhindert. Die geplanten Maßnahmen treffen mittelbar und unmittelbar auch Kinder und Jugendliche.

Flüchtlinge sollen ausgehungert werden

Darüber hinaus sollen Menschen, denen bereits in einem anderen Unterzeichnerstaat der Dublin-III-Verordnung internationaler Schutz zugesprochen wurde, künftig von jeglichem Sozialleistungsbezug ausgeschlossen werden. So soll die Rückkehr in Staaten wie Bulgarien, Italien und Griechenland mit Hunger und Obdachlosigkeit durchgesetzt werden, obwohl anerkannte Flüchtlinge dort oft unter miserablen Bedingungen leben müssen. Hiervon sind auch Kinder und Jugendliche betroffen, die mit ihren Familien eingereist sind. Zu erinnern ist an das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2012, das eindeutig formuliert hat: Das Existenzminimum ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. An dieser Maßgabe muss sich die Politik orientieren.

Zudem ist es auch eine Umgehung des Bundesrates, dass diese Leistungseinschränkung im nicht-zustimmungspflichtigen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ enthalten ist – und nicht im zustimmungspflichtigen Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, welches gleichzeitig verhandelt wird und wo die Regelung schon allein aus Gesetzeslogik hingehört.

Massive Ausweitung der Abschiebungshaft

Mit der vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlage könnten praktisch alle vollziehbar ausreisepflichtigen Personen in Abschiebungshaft genommen werden, indem „Fluchtgefahr“ ausufernd definiert wird. So können bereits die Nichterfüllung der Passbeschaffungspflicht sowie höhere Geldzahlungen, selbst zur legalen Einreise, als Indizien für die Fluchtgefahr gelten.

Die Abschiebungshaft soll bis 2022 sogar in normalen Gefängnissen durchgeführt werden. Das steht im Widerspruch zur eindeutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der die Trennung von Strafgefangenen und Menschen, die abgeschoben werden sollen, zwingend ist, um die Menschenwürde der betroffenen Personen zu schützen. Denn sie haben keine Straftat begangen und dürfen auch nicht so behandelt werden. Hieran zeigt sich, dass im Gesetzentwurf der Doktrin der Abschiebung jegliches rechtsstaatliche Prinzip untergeordnet wird. Es ist auch höchst bedenklich, dass die Proteste der JustizministerInnen und –senatorInnen der Bundesländer ignoriert werden, die der Unterbringung von Menschen zum Zweck der Abschiebung in Gefängnissen aus Gründen der Sicherheit und der Organisation eine laut verurteilt haben.

Erschreckend ist auch die Einführung einer Beugehaft, wenn Betroffene nicht zu einem Termin bei der Vertretung des Herkunftslandes erschienen sind. Diese 14-tägige Haft soll dazu dienen, Druck auszuüben, um die „Kooperationsbereitschaft zu erhöhen.“ Diese neue Form der Abschiebungshaft, im Gesetzesentwurf „Mitwirkungshaft“ genannt, ist unverhältnismäßig und systemwidrig.

Kriminalisierung der Zivilgesellschaft

Der Gesetzentwurf verunsichert in der Flüchtlingsarbeit engagierte Menschen, da trotz der Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf weiterhin die Gefahr der Kriminalisierung besteht. Indem der gesamte Ablauf der Abschiebung – inklusive Botschafts- oder Ärzt_innentermine – unverhältnismäßigerweise als „Geheimnis“ deklariert wird, besteht die Gefahr, dass in der Flüchtlingsarbeit Tätige, die zum Beispiel über den Termin bei einer Botschaft informieren, der Beihilfe zum Geheimnisverrat bezichtigt werden. Solidarität und der Einsatz für die Rechte von geflüchteten Menschen sollen mit Gefängnis bestraft werden können. Das darf die SPD im Bundestag nicht mittragen!

Dies sind nur drei Punkte, die deutlich zeigen, wie weitgehend die Regelungen sind – das Gesetz enthält noch zahlreiche weitere Schikanen. Während sich Bundesinnenminister Seehofer mit einem Rückgang der nationalen Asylverfahren brüstet, sind weltweit so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht. Die Lösung der internationalen Herausforderungen und humanitären Krisen kann nicht in einer Abschottung der Europäischen Union und der Entrechtung von Schutzsuchenden liegen. Die Antwort muss vielmehr eine solidarische sein und sich an unveräußerlichen Grund- und Menschenrechten orientieren.

Wir fordern Sie, als Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion, dazu auf, die Gnadenlosigkeit, mit der in der Bundesrepublik mehr und mehr Politik gegen geflüchtete Menschen gemacht wird, zu stoppen und den Gesetzesentwurf abzulehnen.

Mit freundlichen Grüßen

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte